Psychotherapie, 19.12.2001
Terror im Kopf bei Angst und Panik:
Nach zehn Jahren Angststörung in nur zehn Stunden zum Therapieerfolg
Zehn Jahre leiden sie im Durchschnitt, ruinieren oft ihr Leben und kosten
der deutschen Wirtschaft zwischen 50 und 100 Milliarden Euro im Jahr - Menschen
mit Angst- und Panikstörungen. Verantwortung für diese skandalöse Situation
tragen Ärzte, die diese Erkrankung bei ihren Patienten über Jahre verschleppen,
obwohl Angst- und Panikstörungen innerhalb von zehn bis 15 Stunden erfolgreich
zu behandeln sind - ohne Medikamente, nur mit kognitiver Verhaltenstherapie.
Volker G. ist Betroffener — einer von rund 12 Millionen Deutschen. Über
zehn Jahre zerstörte Angst sein Leben - bis er in zehn Stunden Psychotherapie
den Weg aus der Angst fand. Im Gespräch mit FOCUS TV schilderte er seine leidvolle
Erfahrung mit dem ganz normalen Horror im deutschen Gesundheitssystem.
Es war seine Abschlusssitzung in der Angstambulanz als FOCUS TV beim ABARIS
Institut für Psychotherapie in Stuttgart für einen Beitrag zum Thema Angst
anfragte. Volker G., 26, litt bereits seit über zehn Jahren unter einer Angst-
und Panikstörung, die seine Bewegungs- und Handlungsfähigkeit zunehmend eingeschränkt
und ihn um viele Entwicklungs- und Karrierechancen gebracht hatte. Nur rund
1.500 Euro kostete seine kognitive Verhaltenstherapie, die ihn zu spürbaren
Veränderungen
führte und ihm seine Bewegungs- und Handlungsfähigkeit zurückgab.
G. war gern bereit, über die Entwicklung seiner Angst und die vorausgegangenen
vergeblichen Therapieversuche zu berichten, um anderen Menschen mit Angst- und
Panikstörungen eine ähnliche Leidensgeschichte zu ersparen. Im Interview mit
der Redakteurin Sabine Kreyssig von FOCUS TV berichtete er am 12. Oktober 2001
über seine erfolgreiche Psychotherapie beim Diplom-Psychologen und Psychotherapeuten
Dietmar Luchmann und seine vorausgegangene jahrzehntelange Angst- und Panik-Karriere
,
die ihm bei besserer Aufklärung erspart geblieben wäre.
Der Patient Volker G.
Erst seit etwas mehr als einem Vierteljahr kenne ich die genaue Bezeichnung
einer Erkrankung, die mein Leben mehr als ein Jahrzehnt beeinflusste und nachhaltig
bestimmte: Angst- und Panikstörung.
Nur durch einen glücklichen Zufall fiel mir in einer Buchhandlung ein
Fachbuch zu diesem Thema in die Hände. Kein Arzt hatte in all den Jahren diese
Erkrankung erkannt - und ich war weiß Gott oft genug beim Hausarzt, Neurologen,
Internisten, Psychotherapeuten [...]
Ausgelöst durch Atembeschwerden infolge einer Pollenallergie, entwickelte
ich während der Pubertät eine panische Angst vor einem möglichen Asthma-Anfall.
Diese Erstickungsangst trat fortan immer öfter in neuen, ungewohnten Lebenslagen
auf. Mit den sich verstärkenden Symptomen der Angststörung wuchs die Angst vor
dem nächsten Angstanfall, die so genannte Angst vor der Angst.
Inzwischen sind seit meinem Abitur sechs Jahre vergangen. Der Preis für
diese Erkrankung: ein abgebrochenes Hochschulstudium und zwei nie angetretene
Studienplätze bei den später folgenden Versuchen, die Angst dennoch zu überwinden
[...]
Diese Einschnitte in meinem Leben, standen letztendlich alle in engem
Zusammenhang mit der Angst vor Panikattacken, vor dem Leben in Großstädten und
vor dem Kontakt mit Menschen, welche meine Probleme mit der Angst nicht kannten
oder verstanden.
Nach dem erfolgreichen Abschluss einer kaufmännischen Lehre im vergangenen
Jahr entschied ich mich, noch einmal ein Studium zu beginnen. Leider flammten
die längst überwunden geglaubten Ängste erneut auf.
Mein Hausarzt redete mir wie schon so oft gut zu, verschrieb mir ein
"modernes Angst lösendes Medikament" und empfahl mir den Studienplatz anzutreten.
Letzteres war in punkto Angstkonfrontation nicht einmal so falsch, nach der
jahrelangen Angstkarriere aber ein völlig untauglicher Rat. Der Neurologe sagte
mir, wie schon vor sechs Jahren, ich wäre kerngesund, bräuchte keine Medikamente
und solle mir am Studienort "schleunigst eine neue Freundin" suchen, dann ergäbe
sich alles wie von selbst.
Meine bittere Erkenntnis: Scheinbar braucht man in Deutschland nur eine
kurze wissenschaftliche Abhandlung über den aktuellen Stand in der Angst- und
Panikforschung zu lesen, und schon weiß man mehr über die Erkrankung und die
Behandlungsmethoden als ein Hausarzt oder ein Neurologe mit psychotherapeutischer
Zusatzausbildung.
Die Suche nach einem geeigneten Angsttherapeuten erwies sich schließlich
schwieriger als angenommen. Eine brauchbare ambulante oder stationäre Kurzzeittherapie
scheint es für gesetzlich Versicherte kaum zu geben - zumindest wohl nicht auf
Krankenschein. Niedergelassene Psychotherapeuten fragen am Telefon sofort "Privat
oder Kasse?" und haben für Kassenpatienten erst nach Monaten einen Termin frei.
Zwei von mir aufgesuchte Verhaltenstherapeuten arbeiteten ohne erkennbares
Konzept bei Angstpatienten. Bei einem schien man erst Hilfe zu bekommen, wenn
man nach fünf Stunden Kassen-Stammkunde war, d.h. wenn die Krankenkasse eine
Therapie exklusiv bei ihm genehmigt hat [...]
Ich war in schlechter psychischer und körperlicher Verfassung, als ich
mich im Juli 2001 an Herrn Luchmann wandte. Die Angst war nun fast permanent
vorhanden, ich fuhr kaum noch allein mit dem Pkw, das Fahren auf der Autobahn
war für mich unmöglich. Zu diesem Zeitpunkt war ich extrem neurotisch und depressiv.
Ich fühlte mich weder im Stande, mein Studium zu beginnen, noch mir einen Arbeitsplatz
zu suchen.
Es ging sogar so weit, dass ich einfachste Tätigkeiten wie das Schreiben
einer E-Mail nicht mehr ausführen konnte, da ich mir nicht mehr zutraute, einigermaßen
gutes und fehlerfreies Deutsch zu schreiben. Diese Schreibblockade wurde
beim Einstieg in die kognitive Psychotherapie bei Herrn Luchmann erfolgreich
gelöst.
Danach benötigte ich noch etwa zehn Therapiestunden, in denen mir Herr
Luchmann die Instrumente zur Veränderung meiner selbstzerstörerischen Denk-
und Verhaltensweisen vermittelte. Die ersten Erfolge stellten sich bald ein:
Zu Beginn der Behandlung fuhr ich zum Beispiel noch mit dem Zug nach Stuttgart,
schon nach wenigen Therapiestunden bewältigte ich diese Strecke mit dem Auto
- allein.
Nach Abschluss der kognitiven Psychotherapie an der ABARIS Angstambulanz
kann ich sagen, dass ich in wenigen Stunden ein Wissen gewonnen habe, das meinen
Blick auf das Leben und den Umgang mit Angst verändert. Ich werde noch eine
gewisse Zeit benötigen, um mein eingeschliffenes Denken und Verhalten in verschiedenen
Lebensbereichen zu verändern. Das Wichtigste ist jedoch, dass ich ein neues
Verhältnis zu meiner Angst bekommen habe, und das war sofort spürbar.
Das Fazit
Volker G. mit seiner jahrzehntelangen Angst- und Panikstörung ist ein typischer
Fall der Stuttgarter Angstambulanz. Typisch ist das vermeidbare Leid, typisch
sind die vermeidbaren Kosten und typisch ist der äußerst geringe Therapieaufwand,
um Leid und Kosten zu beenden. G. weiß, dass er das in den wenigen Stunden Erlernte
noch zu festigen haben wird. In ein paar Wochen kann er dann die in vielen Jahren
eingeübten falschen Denkmuster und Verhaltensweisen abgestreift haben. Ob seine
Krankenversicherung die vergleichsweise geringen Kosten für die ambulante kognitive
Psychotherapie erstattet, ist ungewiss. Die Wahnsinnsbeträge
für ärztliche
Diagnostik, Medikamente und Klinikaufenthalte hingegen werden bezahlt - eine
groteske Situation in einem kranken Gesundheitssystem.
Vor dem Hintergrund, dass ich wegen meiner seit Jahrzehnten bestehenden
Angststörung andernorts bereits rund 30.000 DM ohne Erfolg gezahlt habe, hätte
ich mir gewünscht, früher den Weg zu Herrn Luchmann gefunden zu haben
, schreibt
ein anderer Klient am 16. Oktober 2001. Psychotherapeut Luchmann hat eine Kopie
dieses Briefes an die Krankenkasse erhalten, mit dem der Klient um die Erstattung
von 8 Sitzungen bei Herrn Luchmann
bittet: Die Therapie hat sich gelohnt
und bereits mein Leben positiv verändert. Hierüber möchte ich Sie informieren.
Vielen Dank
, heißt es in dem Schreiben.
Luchmann, zu dessen Klienten Manager ebenso gehören wie Studenten, deckt
den Namen des Absenders auf dem Brief sorgfältig ab. Die Schweigepflicht
ist unser höchstes Gut und begrenzt unsere möglichen Referenzen.
Er nennt
es einen Skandal für das deutsche Gesundheitssystem, dass psychische Störungen
von Ärzten aus Unkenntnis und Geldgier überwiegend falsch behandelt werden und
die Krankenversicherungen enorme Beträge für unsinnige Psychoanalysen und überflüssige
psychosomatische Kliniken verschleudern.
Hilfesuchende am ABARIS Institut für Psychotherapie, die privat versichert
oder freiwilliges Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, haben bei ihrer
Krankenversicherung in der Regel einen Rechtsanspruch auf die Erstattung der
Kosten für die effektive kognitive Psychotherapie. Pflichtversicherte der gesetzlichen
Krankenkassen werden das ABARIS-Programm hingegen oft aus der eigenen Tasche
zu bezahlen haben - oder weiter im kranken Gesundheitssystem leiden. Die
Gesundheitspolitik hat hier völlig versagt. Angesichts der unvorstellbaren Korruption
und Fehlbehandlung, die im Medizinbetrieb im allgemeinen und bei der Psychotherapie
im besonderen zu beobachten sind, kommt den Medien eine besondere Rolle bei
der Aufklärung zu
, sagt Luchmann - und wendet sich den Online-Anmeldungen
am ABARIS Institut für Psychotherapie zu: Wenigstens diesen Menschen können
wir helfen.
Wege aus der Psychofalle von Angst und Panik: Was der Psychotherapeut
empfiehlt
Die Fragen stellte Sabine Kreyssig von der Redaktion FOCUS TV an
Dietmar Luchmann, Diplom-Psychologe, Psychotherapeut und Leiter
der Angstambulanz am ABARIS Institut für Psychotherapie, Stuttgart.
Das Interview
Sabine Kreyssig: Was genau ist Angst, gibt es eine Definition?
Dietmar Luchmann: Als Angst wird ein als unangenehm empfundener Gefühlszustand
bezeichnet, der Gefahr oder Bedrohung signalisiert. Eine Angststörung entsteht,
wenn man sich im Umgang mit den Erregungszuständen des eigenen Körpers nicht
in zweckmäßiger Weise seines Verstandes bedient, sondern sich von Gefühlen leiten
läßt. Deshalb sind die erfolgreichsten Instrumente zur Behebung von Angststörungen
jene der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie setzen an der Kognition, dem Denken,
an und beheben jene Denkfehler, die zur Angst und ihren vielfältigen Störungen
führen.
Ein beträchtlicher Teil der Arbeitnehmer hat zum Beispiel Angst um den Arbeitsplatz.
Millionen fürchten sich vor dem Mobbing durch Kollegen oder Vorgesetzte. Auch
private Lebensumstände wie Probleme mit der Familie, Krankheit oder andere Lebensrisiken
können Angst erzeugen. Die Medien der Informationsgesellschaft füttern und schärfen
mit ihrer Berichterstattung häufig die Wahrnehmung für diese realen und vermeintlichen
Gefahren und Bedrohungen. Das individuelle Bewusstsein für Existenz- und Lebensrisiken,
das hierdurch vermittelt wird, kann zunehmend verzerrt und übersteigert werden
und zu andauernder unterschwelliger Angst führen. Immer mehr Menschen geraten
durch diese latente Angst in einen Zustand chronischer Anspannung, der über
viele Jahre die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit aushöhlt.
Im weiteren Sinne werden unter dem Begriff Angst oft auch jene Angstzustände
verstanden, die Krankheitswert besitzen. Viele Menschen vermögen am Beginn einer
Angststörung allerdings die resultierenden körperlichen Symptome nicht als Ausdruck
einer zwar krankhaften, aber psychotherapeutisch leicht behandelbaren Angst
erkennen. Durch ihre Fixierung auf die Organmedizin und die in Deutschland ausgeprägte
Scheu vor der Inanspruchnahme von Psychotherapeuten verschleppen sie ihre phobische
Erkrankung, ihre Angst- und Panikstörung oft über viele Jahre.
Wie unterschiedlich äußern sich Angstzustände, welches sind die Symptome?
Luchmann: Oft entsteht Angst aus der Wiederholung unangenehmer körperlicher
Befindlichkeiten, die Betroffene bei sich wahrnehmen. Die körperlichen Symptome
reichen hierbei von Anspannung über Schwindelanfälle und Zittern bis zum Schweißausbruch,
Herzrasen und Atemnot bei einer Panikattacke. In aller Regel werden diese Symptome
jedoch nicht mit Angst in Verbindung gebracht. Die wahrgenommenen Körperreaktionen
werden mit scheinbar natürlichen Ursachen erklärt: mit Überanstrengung, mit
zuviel Kaffee oder einer zu geringen oder weit zurück liegenden Mahlzeit, mit
banalem Ärger oder schlicht dem alltäglichen Stress. Dass sich hierbei das auf
diese Befindlichkeitsänderungen und Körpersymptome bezogene Denken ändert, wird
regelmäßig mangels Wissen nicht wahrgenommen. So entwickelt sich unbemerkt eine
phobische und angstbesetzte Beobachtung und Wahrnehmung sowohl des eigenen Körpers
als auch der Umgebung. Die typische Entwicklung einer Angststörung beginnt damit,
dass sich in bestimmten Situationen oder in einem spezifischen Kontext die angstbesetzten
Wahrnehmungen und die Symptome wechselseitig verstärken.
Welche Stadien gibt es von leichten Angstzuständen bis hin zu Panikattacken?
Luchmann: Das Spektrum ist bei Angst- und Panikstörungen so breit und
vielgestaltig, dass es das gewöhnliche Vorstellungsvermögen sprengt. Für Ängste
gibt es deshalb keine sinnvolle Skala wie jene von Saffir-Simpson, die Hurrikane
kategorisiert, oder jene von Charles Richter, mit der die Intensität von Erdbeben
klassifiziert wird. Die Übergänge von leichten Angstzuständen bis zu Panikattacken
sind fließend und werden oft von Faktoren bestimmt, die auf den ersten Blick
nicht erkennbar sind, aber entscheidend zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Die konkrete Ausprägung einer Angst wird beispielsweise beeinflußt von der den
Betroffenen regelmäßig nicht bewußten Art und Weise ihres phobischen Denkens,
ihres Fühlens und ihres Verhaltens. Dazu zählt typischerweise das Vermeidungsverhalten,
das sich je nach konkreter Problemsituation mehr oder weniger ausgeprägt entwickeln
kann. Betrachten wir zwei Beispiele, um die Spannbreite phobischer Entwicklungen
zu illustrieren:
Beispiel eins sei eine feinfühlige und sensible Frau, eine Wissenschaftlerin,
die seit Jahren zufriedenstellend ihrem Beruf bei demselben Arbeitgeber nachgeht
und in ihre aktuelle Führungsposition als Laborleiterin mit einem mittelgroßen
Team organisch hineingewachsen ist. Wenn diese Frau in ihrer Vorgesetztenrolle
nun von jüngeren Mitarbeitern zunehmend mehr und mehr kritisch und respektlos
angegangen oder abgelehnt wird, so kann es ihr über eine sehr lange Zeit gelingen,
den unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen, sie zu vermeiden. Gleichwohl
wird sich dadurch die Anspannung und der latente Stress bei ihr wahrscheinlich
kontinuierlich erhöhen. Es werden erste körperliche Stressfolgesysmptome hinzutreten.
So entwickelt sich allmählich - vielleicht über Jahre - eine Angst vor dem Versagen,
eine Angst vor Kritik und Ablehnung, die nicht nur zu Erschöpfung, sondern irgendwann
bei einem auslösenden Belastungsereignis zum körperlichen Zusammenbruch führt.
Ob mit oder ohne begleitende Panikreaktion, das wird dabei kaum einen Unterschied
machen. Der Weg zum Hausarzt wird wahrscheinlich zur stationären Einweisung
in eine Klinik führen - mit der wahrscheinlichen Diagnose einer Depression.
Tatsächlich steht hinter dem Geschehen eine kaschierte Angstentwicklung mit
leichten Angstzuständen
, die als solche überhaupt nicht erkannt wurden,
die aber in der Konsequenz die körperlichen und psychischen Ressourcen dieser
Frau fast vollständig aufgebraucht haben. Eine solche Klientin aus diesem desolaten
Endzustand eines langdauernden Stadiums leichter Angst
herauszuführen
erfordert, das über lange Jahre tief eingeschliffene phobische Denken zu beheben
und die resultierende tiefgehende Erschöpfung zu überwinden.
Betrachten wir als zweites Beispiel den Fall einer ebenso feinfühligen und
sensiblen jungen Frau, die bei einer beliebigen Gelegenheit zuviel schwarzen
Tee getrunken hat, der in der Folge stärker auf ihre Harnblase drückt als ihr
angenehm ist. Diese Mißlichkeit trifft die Frau in einer Situation mit anderen
Menschen, in der sie sich nicht erleichtern kann. Je stärker der Druck in ihrer
Harnblase wird, umso mehr steigt ihre Anspannung und umso größer wird ihre Besorgnis,
sich einer großen Peinlichkeit ausgesetzt zu sehen, wenn sie die Kontrolle über
sich oder über ihre Harnblase verliert. Dann werden vermutlich Gedanken wie
O mein Gott
oder Hoffentlich schaffe ich es noch
bei ihr auftreten,
ihr Vorstellungsvermögen wird in Horrorfantasien vom eigenen Kontrollverlust
ertrinken und schließlich werden diese Gedanken und Bilder beginnen, in ihrem
Hirn zu rotieren - bis sie richtiggehend durch alle Nervenzellen ihres Körpers
rasen. Sie wird zunehmend verkrampfen, stoßweise atmen, Gänsehaut oder Schweißausbrüche
bekommen und zu zittern beginnen. Hitzewallungen werden durch ihren Körper jagen
und sie wird das Empfinden haben, jederzeit ohnmächtig werden zu können. Obwohl
die Frau ihren Zustand vor anderen vielleicht zu verbergen vermag, können wir
ihn Panik nennen. Wichtig an diesem Beispiel ist, dass dieses Panik-Erlebnis
sich im Gedächtnis der jungen Frau emotional so fest eingebrannt hat, dass sie
später bereits bei der winzigsten Wahrnehmung ihrer Harnblase von der Angst
vor dem Einpinkeln ergriffen wird und ihr Denken sich auf die Suche nach einer
Toilette auszurichten beginnt. Da die Harnblase vom Gehirn gesteuert wird, wirkt
diese Besorgnis, sich in die Hose zu machen, als gedanklicher Stressor wiederum
aktivierend auf die Blase und führt in der Folge zu einem sich selbst verstärkenden
Prozess der Angstentwicklung. Kino- oder Theaterbesuche werden schwierig oder
unmöglich, das Bewegen in der Öffentlichkeit, zum Beispiel die Benutzung von
Bus und Bahn, das Einkaufen und Spazierengehen, wird komplizierter. In ihrer
Angst, es nicht bis zur nächsten Toilette zu schaffen, wird sie alle Gelegenheiten
am Wege nutzen, rein vorsorglich eine Toilette aufzusuchen. Sie wird schließlich
ausgefeilte Bewegungsmuster entwickeln, sich in der Öffentlichkeit von Toilette
zu Toilette zu hangeln
. Wenn Sie Glück hat, wird dieses Verhalten ihren
Partner so zu nerven beginnen, dass sie veranlaßt wird, zu uns zu kommen. Dann
ist diese beginnende Angstentwicklung im Ansatz gestoppt. Wenn sie weniger Glück
oder keinen Partner hat, werden ihre Gedanken, die sich auf die Suche nach einer
Toilette und das Vermeiden potentiell problematischer Situationen richten, wahrscheinlich
immer größeren Raum einnehmen und die junge Frau unmerklich in eine Angstentwicklung
hineintreiben, die ihr Leben mehr und mehr einschränkt.
Am Ende eines solchen phobischen Geschehens, das mit tausenderlei Angstinhalten
ausgefüllt sein kann, stehen nicht selten der Karriereknick oder gar der Verlust
der Arbeitsstelle, Verlust von Freunden und die soziale Isolation. Die Beispiele
verdeutlichen, dass Angstkarrieren sich über eine lange Zeit völlig unbemerkt
entwickeln können bis es überhaupt zur sichtbaren Angst Eruption oder
zum ersten Panikanfall kommt. Angstkarrieren können aber auch - wie im zweiten
Beispiel - mit einer mehr oder weniger zufälligen und banalen Angstattacke starten
und dann in ein langjähriges Entwicklungsstadium einer chronischen Angst eintreten.
Hinzu kommen noch jene Menschen, die - wie bei der sozialen Phobie - ihre Angst
schon in der frühesten Kindheit gelernt und verinnerlicht haben. Wir sehen daran:
Angst ist immer höchst individuell und meistens sehr komplex.
Wann sollte ein Patient in Behandlung gehen?
Luchmann: So rasch wie möglich natürlich. Der ganze Jammer ist, dass
fast alle Leistungsanbieter im Gesundheitswesen, an die ein Patient mit einer
Angststörung geraten kann, an dem bunten Symptomspektrum der Angst ihre Leistungspalette
abarbeiten werden. Die beiden geschilderten Beispiele bieten diesbezüglich höchstes
Verwertungspotential. Wenn die junge Frau, die lediglich Angst vor dem Einnässen
gelernt hat, ohne sich ihre Hose jemals wirklich nass gemacht zu haben, mit
ihrem vermeintlichen Blasenproblem an einen Urologen gerät, der ihr eine nervöse
Blase oder Reizblase attestiert, sie als Dauerpatientin einfängt und ihr dann
mit der verschärften Diagnose einer überaktiven Blase oder Dranginkontinenz
eine medikamentöse und chirurgische Behandlung andient, wird aus ein paar Denkfehlern
nach ein paar Tassen schwarzem Tee leicht ein ruiniertes Leben. Nach der Statistik
ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese junge Frau ihre zwar objektiv leicht
behebbare Angst, die nunmehr fälschlich als ein körperlicher Fehler mißverstanden
und ärztlich bestätigt wurde, im medizinisch-pharmazeutischen Komplex für eine
lange Zeit pflegen und falsch behandeln lassen wird. Auch unser Patient Volker
G. hat dies, wenngleich mit einem anderem Angstinhalt, als seine eigene leidvolle
Erfahrung geschildert.
Es gibt diese trefflichen Worte des deutschen Lyrikers Eugen Roth: Was
bringt den Doktor um sein Brot? a - die Gesundheit, b - der Tod. Drum hält der
Arzt, auf dass er lebe, uns zwischen beiden in der Schwebe.
Das ist leider
näher an der Wirklichkeit als wir glauben wollen. Die mittlere Therapiedauer
in Deutschland beträgt für Verhaltenstherapie über 40 Stunden, für tiefenpsychologisch
orientierte Psychotherapie über 70 Stunden und für analytische Psychotherapie
über 120 Stunden. Vor Jahren fragte mich deshalb eine Patientin: Herr Luchmann,
wie können Sie von Psychotherapie leben, wenn Sie pro Patient nur zehn Stunden
brauchen?
Das war eine kluge Frage. Intelligente Patienten wissen um die
wirtschaftlichen Interessen der Ärzte- und Pharma-Mafia und hinterfragen vieles
kritisch. Das hilft, die Suche nach dem Behandlungserfolg zu verkürzen. Grundsätzlich
ist festzustellen: Je rascher eine Entwicklung eskaliert, umso früher wird sie
als Problem wahrgenommen und Hilfe gesucht. Eine frühzeitige Behandlung erhält
ihren Wert jedoch nur dann, wenn sie gleichzeitig auch die richtige Behandlung
ist.
Wie kann eine Behandlung aussehen? Gibt es Unterschiede aus den verschiedenen
Bereichen, z.B. kognitive Therapie, Medikamente, Sport?
Luchmann: Die nach dem Stand der Wissenschaft nachweislich beste Therapie
bei Angst- und Panikstörungen, Phobien und Depressionen ist eine kognitive Psychotherapie.
Sehr gute Psychotherapeuten führen ihre Patienten inzwischen mit ausschließlich
kognitiver Arbeit zum Therapieziel. Das heißt, die von den Psychotherapeuten
begleiteten Übungsanteile, die in der Verhaltenstherapie bei Angst- und Panikstörungen
sowie Zwängen früher typisch waren, können heute oft entfallen. Die Patienten
werden mit kognitiver Therapie befähigt, den Übungsteil jeder Psychotherapie,
das übende Umlernen in ihrem Denken und Verhalten im Alltag, in der Familie
und im Beruf allein zu verwirklichen. Das senkt die Therapiekosten erheblich.
Zu Medikamenten gibt es eine ganz klare Antwort: Psychoaktive Medikamente
haben in einer sauberen kognitiven Psychotherapie und Verhaltenstherapie der
Angst nichts zu suchen. Sie beeinträchtigen die kognitiv-therapeutische Wirkung
nachhaltig oder heben sie am Ende sogar komplett auf. Das gilt für alle psychoaktiven
Substanzen einschließlich solcher, die angstlösend, beruhigend oder antidepressiv
wirken. Hilfesuchende sollten sich bei der Angstbehandlung nicht mit Psychopharmaka
betrügen oder betrügen lassen. Die mentale Schadwirkung angstlösender Medikamente
ist immens und wird absolut unterschätzt.
Sport ist im eigentlichen Sinne kein Instrument im psychotherapeutischen
Inventar. Aber Sport ist, wie wir wissen, nicht nur gesund, sondern auch eine
hilfreiche Ergänzung bei der Rückführung der Anspannung, die bei Menschen mit
Ängsten häufig erhöht ist. Und überdies ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass
Sport oft ein besseres und langfristig wirksameres Antidepressivum ist als jenes
aus der Apotheke.
Wie viele Menschen leiden unter generalisierter Angst?
Luchmann: Speziell unter jener Form der generalisierten Angst im Sinne
der Internationalen statistischen
Klassifikation der Krankheiten, die Volker G. schilderte, leiden in ihrem
Lebensverlauf rund vier Prozent der Menschen. Das sind, konservativ geschätzt,
über drei Millionen Deutsche. Bezieht man hingegen alle Angststörungen in die
Betrachtung ein, so sind es in Deutschland, wiederum konservativ geschätzt,
mindestens zehn Millionen überwiegend jüngere Menschen, deren Leben von Angst
in klinisch behandlungsbedürftiger Ausprägung beeinträchtigt wird.
Worin liegt die Schwierigkeit, Angstpatienten zu erkennen?
Luchmann: Angstpatienten haben eine primär psychische Störung, die
sich jedoch hauptsächlich in körperlichen Symptomen äußert. Hieraus resultiert
eine allgemeine und eine besondere Schwierigkeit. Die erste und allgemeine Schwierigkeit
besteht für Betroffene darin, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Abwertung
psychischer Probleme, den Gedanken an eine psychische Störung überhaupt zuzulassen.
Die Vorstellung, psychisch krank zu sein, wird ungerechtfertigt oft mit Verrücktsein
verknüpft. Folglich wird diese Möglichkeit empört zurückgewiesen oder entsetzt
verdrängt. Dass viele psychische Störungen bei richtiger Behandlung leichter
und rascher zu beheben sind als viele körperliche Störungen, ist hingegen weithin
unbekannt.
Die besondere Schwierigkeit besteht zudem darin, die konkrete Angst als solche
in den Patienten zu erkennen. Die Betroffenen selbst sehen regelmäßig nur ihre
körperlichen Symptome. Sie sprechen davon, sich dauernd angespannt und unwohl
zu fühlen, nicht mehr richtig frei einatmen und ausatmen zu können, Schwindelanfälle
zu haben bis hin zum Gefühl, in Ohnmacht zu fallen, ihr Herz deutlicher oder
schneller pochen zu fühlen bis hin zu plötzlichem Herzrasen, vermehrt zu schwitzen,
zu erröten oder unter Hitzewallungen zu leiden, ein Gefühl von Taubheit und
Kribbeln in den Fingern und Zehen zu spüren, schlecht zu schlafen und Alpträume
zu haben, rascher zu erschöpfen und müde zu sein und bei alledem Stress vielleicht
auch noch von verschiedenen anderen Beschwerden wie Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen
gepeinigt zu werden. Kein Patient kommt für gewöhnlich daher und sagt, er mache
sich ängstliche Gedanken.
Gibt es etwas ähnliches wie einen Angst Test
, damit Patienten
besser erkannt werden können?
Luchmann: Gewiß. Psychologen haben für vieles Tests entwickelt, die
zuweilen sogar das messen, was zu messen sie behaupten. Das Problem ist ein
anderes: Der Patient, der selbst überhaupt nicht auf die Vermutung kommt, er
könne an einer Angst Störung leiden, wird einen Angst Test
nicht nutzen können. Und die Leistungserbringer im Gesundheitswesen, denen eine
saubere Angst Diagnose mit effizienter kognitiver Kurzzeitpsychotherapie
den Umsatz und Gewinn drastisch schmälert, werden einen Angst Test
nicht nutzen wollen.
Wer unter Ihren Zuschauern oder Lesern von den hier aufgezählten Körpersymptomen
mindestens die Hälfte bei sich vorfindet und bei ehrlicher Selbstbeschau auch
seine ängstlichen Gedanken und die Furcht vor Kontrollverlust bei sich wahrnimmt,
braucht keinen Angst Test
mehr. Da wuchert die Angst mutmaßlich
schon.
Wie viele Patienten werden nicht erkannt?
Luchmann: Wir wissen aus entsprechenden Untersuchungen, dass der absolut
überwiegende Teil von Angsterkrankungen nicht rechtzeitig erkannt wird. Hieraus
resultieren Millionen individuelle Tragödien von Menschen, die ihre Angst daran
hindert, ihr Leben frei zu leben und sich zu entfalten. Besonders tragische
Folgen hat die Fehlannahme, bei dieser Erkrankung Hilfe von Ärzten zu erhalten.
Nicht nur tragisch, sondern auch bitter ist diese Feststellung, weil Angsterkrankungen
überwiegend in jungen Jahren beginnen und ohne Behandlung zumeist chronisch
verlaufen. In ihrem jahre- und jahrzehntelangen Leidensverlauf füttern Betroffene
mit der aus ihrer chronischen Angststörung resultierenden Inanspruchnahme medizinischer
Dienstleistungen ungewollt das Medizin-Kartell. Im Extremfall steht am Ende
solcher langen Angstkarrieren die Invalidisierung.
Eine sehr repräsentative und unlängst von der Technischen Universität Dresden
vorgestellte Studie mit über 20.000 Patienten und über 500 Arztpraxen zeigte
im Ergebnis auf, dass zwei Drittel der generalisierten Angsterkrankungen von
den Hausärzten überhaupt nicht erkannt wurden. Das restliche Drittel wurde fast
ausschließlich falsch behandelt. Bei der Beurteilung dieser erschütternden Ergebnisse
ist der praktizierte Eigennutz der Ärzte zu berücksichtigen. Patienten mit Angst,
Panik oder einer Phobie stellen aufgrund ihrer reichhaltigen körperlichen Symptomatik,
man kann das nicht oft genug betonen, eine Einladung zum langjährigen üppigen
Geldverdienen dar, der viele Ärzte nicht widerstehen können.
Auch gesellschaftlich kommt dies einer Tragödie gleich: Ängste, Panikstörungen
und Phobien sind durch kognitive Verhaltenstherapie heute regelhaft innerhalb
von weniger als 15 Stunden mit anhaltendem Erfolg behandelbar. Gleichwohl gelangen
die Erkrankten im Durchschnitt erst nach sieben bis zehn Jahren zu einem geeigneten
Psychotherapeuten.
Eine andere Studie der Fachhochschule Köln ermittelte gigantische Verluste,
die allein der deutschen Wirtschaft durch die Angst ihrer Mitarbeiter entstehen.
Es sind 50 bis 100 Milliarden Euro, die Angst und Angststörungen pro Jahr an
Kosten bzw. Schaden verursachen. Das ist ein Wertschöpfungspotential, das der
Volkswirtschaft durch betriebliche Prävention und geeignete Therapieangebote
großenteils erhalten bleiben könnte!
Kann jeder krank vor Angst werden?
Luchmann: Ja, vorausgesetzt, der Betreffende begeht in Verbindung mit
dem Vorliegen von Stress eine Reihe von typischen Denkfehlern, die die Entwicklung
einer Angst- und Panikstörung oder Phobie fördern.
Wie hoch ist das Risiko einer Fehlbehandlung?
Luchmann: Nimmt man die erwähnte Studie der Technischen Universität
Dresden mit über 20.000 Patienten als Grundlage, so muß es eher als ein seltener
Glücksfall betrachtet werden, mit einer Angsterkrankung nicht fehlbehandelt
zu werden.
Angst, Depression, Trauma - wo liegen die Unterschiede, gibt es Zusammenhänge?
Luchmann: Diagnostisch kann man zwischen Angst, Depression, Burnout
und Trauma unterscheiden. Das sind spezifische Gewichtungen, die für die Statistik,
die Verwaltung und die Kostenerstattung bedeutsam sind. In therapeutischer Hinsicht
ist es dagegen von größerer Bedeutung das individuelle Geflecht von Ursache
und Wirkung, von Denken, Fühlen und Verhalten in seiner ganzen Komplexität zu
erfassen. Im gewöhnlichen Alltag sind Ängste, Depression, Trauma und Erschöpfung
häufig sehr stark miteinander verwoben. Ich erinnere an das erste Beispiel mit
der Laborleiterin, die sich vor der Kritik in ihrem Team fürchtete. In unserem
Beispiel ist ihr das diagnostische Etikett einer Depression angeheftet worden.
Doch tatsächlich haben zu ihrem Zusammenbruch gesamtheitlich vielmehr wesentlich
die Angst und die aus dem Kampf gegen die Angst entstandene Erschöpfung sowie
vielleicht angstfördernde Einflüsse in der Biografie beigetragen. Dieses individuelle
Wirkungsgefüge aufzudecken und für die Betroffenen beherrschbar zu machen, ist
der Kernbestandteil einer guten Psychotherapie.
In der klinischen Praxis hingegen wird die Diagnose häufig mit Blick auf
das Verwertungspotential gewählt. Im Beispiel der Laborleiterin wird mit der
Klinikeinweisung unter der Diagnose Depression typischerweise die Verabreichung
einer starken, aber nicht essentiell notwendigen Medikation einhergehen, die
die geistige Wachheit und das Denkvermögen heftig eintrüben. Obwohl ihr Zusammenbruch
wesentlich durch ihre Erschöpfung zustande kam, wird die Laborleiterin, die
sich unter den Medikamenten nunmehr erstmals auch als geistig weggetreten erlebt,
auf diese Weise leicht zu überzeugen sein, dass sie eine schwere psychische
Erkrankung hat, die einer sehr langwierigen Behandlung bedarf. Der von Ihnen
erfragte Zusammenhang zwischen Angst, Depression und Trauma würde sich in Übereinstimmung
mit den Ergebnissen der Technischen Universität Dresden in unserem Beispiel
wahrscheinlich so darstellen, dass die ursächliche kleine Angst langfristig
zur Erschöpfung führt, die klinisch als schwere Depression fehldiagnostiziert
wird und dann erst durch die Krankenhausbehandlung ein nachhaltiges Trauma
verursacht, welches die Laborleiterin bis zu ihrer völlig unnötigen Invalidisierung
einer maximalen Verwertung im medizinisch-pharmazeutischen Komplex ausliefert.
Es ist die Behandlungserfahrung, die oft traumatisiert. Das ist der geradezu
klassische Zusammenhang zwischen Angst, Depression und Trauma, der das kranke
Gesundheitswesen prächtig nährt.
Gibt es Menschen, die durch die Terroranschläge Angstzustände bekommen?
Luchmann: Selbstverständlich. Sie können vor allem Angst bekommen,
wenn sie in entsprechend selbstschädigender Weise über die Dinge zu denken beginnen.
Ich war im Jahr 1993 mit einem Patienten selbst auf der Aussichtsplattform des
World Trade Center in New York. Der Terroranschlag hat mich betroffen gemacht.
Aber er hat mir keine Angst gemacht. Terroranschläge und Selbstmordattentäter
sind seit der Antike bekannte Mittel der asymmetrischen Kriegsführung. Menschen,
die sich durch Terroristen ihre Freiheit nehmen und in Angst und Panik treiben
lassen, verdienen ihre Freiheit nicht.
Müssen diese Angstzustände behandelt werden oder gibt sich das wieder
von selbst?
Luchmann: Wenn eine Gesellschaft in den Terror gleitet, gleich ob dessen
Quelle außen, innen oder in der eigenen Regierung ist, hat sie sehr viel größere
Probleme als die Behandlung individueller Angstzustände. Man muss das realistisch
sehen: Wenn es der Regierung von Nutzen ist, Angst bei ihren Bürgern zu erzeugen,
dann wird sie kaum wirklich wollen, dass diese Angstzustände erfolgreich behandelt
werden.
Gibt es eine rechtzeitige Vorsorge, um erst gar nicht krank vor Angst
zu werden?
Luchmann: Ja, natürlich. Im Einklang mit der eigenen und der umgebenden
Natur gesund und glücklich leben, und zwar körperlich, seelisch und spirituell —
in einer intakten Familie und sozialen Gemeinschaft, wo der Gemeinsinn einen
höheren Wert besitzt als der moderne Egoismus und wo die Geborgenheit und die
wechselseitige Hilfe in der Gemeinschaft den Psychotherapeuten weitgehend überflüssig
machen.